Rezension zu
Der goldene Handschuh
Genre: Drama / Thriller
Laufzeit: 115 Min. FSK: ab 18 Jahren
Verleih: Warner Bros. Germany
Regie: Fatih Akin (Solino; Soul Kitchen)
Drehbuch: Fatih Akin (Kurz und schmerzlos; The Cut) nach dem Roman von Heinz Strunk
Produzenten: Fatih Akin (Chico; Blutzbrüdaz); Nurhan Sekerci-Porst (Aus dem Nichts)
Kamera: Rainer Klausmann (Das Experiment; Der Baader-Meinhof-Komplex)
Szenenbild: Tamo Kunz (Aus dem Nichts; Spielmacher)
Maske: Lisa Edelmann -Fritz Honka-Maske- (Schoßgebete; Als wir träumten)
Darsteller: Jonas Dassler (Lomo; Das schweigende Klassenzimmer; Werk ohne Autor)…Fritz Honka
Margarete Tiesel (Paradies:Liebe; Angriff der Lederhosenzombies)…Gerda Voss
Katja Studt (Die tödliche Maria; Bella Martha)…Helga Denningsen
Marc Hosemann (Tschick; Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt)…Siggi Honka
Tristan Göbel (Rico und Oscar II & II; Tschick )…Willi
Greta Sophie Schmidt (Junges Licht)…Mark Armstrong
Hark Bohm (Gespräch mit dem Biest; Knockin’ On Heavens Door)…Dornkaat-Max
u. v. a.
Hamburg St. Pauli Anfang / Mitte der 70er Jahre: Fritz “Fiete“ Honka ist ein bemitleidenswerter Loser. Aber nur auf den ersten Blick. Der durch mehrere Unfälle in seiner Jugend gezeichnete und entstellte Mitt-dreißiger sucht sich auf der berühmten Amüsiermeile St. Paulis -insbesondere in der Traditionskneipe „Zum goldenen Handschuh“– einsame Frauen und Prostituierte, um diese im Schmiersuff zum weitersaufen mit in seine Wohnung zu nehmen. Dort zeigt er dann sein wahres Gesicht, welches noch viel grausamer ist, als es seine abschreckende aber bemitleidenswerte Erscheinung jemals erahnen lässt…
Wie bei allen Rezensionen gilt auch hier: beim Weiterlesen sind kleine Spoiler möglich, aber entscheidende Dinge werden natürlich nicht verraten.
Der Film basiert auf dem wahren Fall des mehrfachen Frauenmörders Fritz Honka, der es dadurch in den 70er Jahren zu trauriger Berühmtheit brachte. Schonungslos inszeniert und am Rande des erträglichen dargestellt, ist dieser Film eher Milieustudie als Drama oder Thriller, vom vermeintlichen Lieblingsgenre der deutschen -dem Krimi- ganz zu schweigen. Hier wird nichts beschönigt oder in verklärende Sepiatöne getaucht. Die musikalische Untermalung besteht ausschließlich aus Schlagern der damaligen Zeit, welche durch die gezeigte Gewalt einen noch unheimlicheren Kontext bilden, als es eine eigens dafür komponierte Filmmusik leisten könnte, ohne die Szenen verkünstelt wiederzugeben und ihnen damit ihre Intensität zu rauben. Dadurch baut der Film eine teilweise schwer zu ertragende Nähe zwischen Täter und Zuschauer auf, der hier einmal mehr -ganz im hitchcockschen Sinne- zum Voyeur wird.
Der fast dokumentarische Stil, durch welchen die Darsteller über so manche (Scham)grenze hinaus agieren, macht den Film so realistisch wie beängstigend. Was hier -allem voran durch Honka-Darsteller Jonas Dassler- aber auch durch die traurig-niederschmetternde Performance seiner Opfer-Darstellerinnen geboten wird, die den Schmerz und die Verzweiflung ihres Lebens und in einer Schlüsselszene sogar die Ahnung des bevorstehenden Todes und seiner stillen Akzeptanz mit großer, erschütternder Intensität spielen, sowie den Ekel, der aus der Melange aus Gewalt, Blut und Erbrochenem, der aus dem hier gezeigten beinahe schon Geruchskino kreiert, hat man im deutschen Mainstream- bzw. Arthauskino so noch nicht gesehen. Allenfalls in den 80er Low- bzw. No-Budget-Undergroundfilmen eines Jörg Buttgereit (“Schramm“) oder Christoph Schlingensief (“Das deutsche Kettensägen Massaker“).
Fatih Akin beweist hier wiederholt, das er zu den vielseitigsten und mutigsten Regisseuren dieses Landes gehört und problemlos zwischen Komödie wie “Im Juli“ und Dramen wie “Gegen die Wand“ oder auch Jugendfilmen wie “Tschick“ hin und her zu switchen vermag. Weder bläst er die Lebensgeschichte Honkas mit Rückblenden künstlich auf, noch widmet er sich, wie in seinem letzten Werk “Aus dem Nichts“, einem ausufernden Gerichtsprozess. Der Film funktioniert auch als Lebens-Ausschnitt perfekt. Eine beachtliche Leistung.
Allerdings sei das hiesige Kinopublikum ausdrücklich gewarnt. Eine deutsche Produktion, die von der FSK ab 18 Jahren frei gegeben wurde, hat es schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gegeben. Und zu dieser Zeit waren die Sehgewohnheiten noch ein wenig anders.
Aber selbst dem hartgesottensten Zuschauer wird hier das Lachen, welches die absurden Situationen und das verstörende Setting mitsamt seinen Figuren teilweise hervorruft, schnell im Halse stecken bleiben. Romanautor Heinz Strunk, sonst für durchaus humorvolle Milieustudien wie “Fleisch ist mein Gemüse“ oder Lebensausschnitte wie “Fleckenteufel“ -dem ironisierten, aus männlicher Sicht erzählten Gegen(ent)wurf zu Charlotte Roches “Feuchtgebiete“ bekannt, führt den Leser bereits in seinem Roman (sowie seinem Bühnenstück), dem “Der goldene Handschuh“ vorausgeht, in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele und in die tiefsten Schmiersuff-Spelunken und speckigsten Wohnungen Hamburgs. Faszination und Abscheu machten sich somit bereits bei der Lektüre beim Leser breit. Bildsprachlich, sowie von der akribischen Ausstattung her schafft es Akins Werk Strunks Beschreibungen sowie die Atmosphäre des Tatsachenromans kongenial auf die Leinwand zu übertragen.
Sieht man während des Abspanns die originalen Tatortfotos, so wird einem klar, mit welcher Akribie und Detailtreue man hier -sowohl von der Ausstattung als auch von der Maske her- zu Werke ging. Dann wird dem Zuschauer endgültig bewusst, dass dies nicht bloß ein Film war, dem er beiwohnte, sondern dass die Monster unter uns weilen. Allgegenwärtig und dort, wo man sie augenscheinlich weniger vermuten würde. Und Adamos Kultschlager “Es geht eine Träne auf Reisen“ wird man nach Anschauen des Films nie wieder mit der Leichtigkeit der vergangenen Jahrzehnte hören können. Garantiert!
Absolute Kinoempfehlung.
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